Biomasse statt Erdöl
50 Millionen Euro für einzigartiges Forschungszentrum am Chemiestandort Leuna
Stroh, Holz, Mikroalgen und viele weitere nachwachsende Rohstoffe können Erdöl ersetzen. Das Land Sachsen-Anhalt, der Bund und die Fraunhofer-Gesellschaft planen ein Forschungszentrum in Leuna, das Unternehmen ermöglichen soll, chemisch-biotechnologische Verfahren vom Labor in die technische Anwendung zu bringen.
Die Minister für Finanzen sowie Wirtschaft und Arbeit des Landes Sachsen-Anhalt, Jens Bullerjahn und Dr. Reiner Haseloff, sowie Prof. Dr. Marion Schick, Vorstand Personal und Recht der Fraunhofer-Gesellschaft, haben heute in der Lutherstadt Wittenberg den Aufbau des Chemisch-Biotechnologischen Prozesszentrums CBP angekündigt. Am Chemiestandort Leuna im mitteldeutschen Chemiedreieck sollen das CBP und eine Fraunhofer-Projektgruppe entstehen.
Das begehrte Mineralöl ist Ausgangsstoff für viele Produkte wie Kunststoffe, Lacke, Waschmittel, Klebstoffe oder Kosmetik. Weltweit arbeiten Chemieunternehmen daran, den Rohstoff Erdöl durch nachwachsende Rohstoffe zu ersetzen. Schon heute werden viele Produkte aus Biomasse hergestellt. Dazu sind ausgefeilte Verfahren notwendig. Viele Inhaltsstoffe der Pflanzen müssen beispielsweise durch Enzyme chemisch verändert werden, bevor sie sich für eine Weiterverarbeitung eignen. Die Pflanzenstoffe müssen jedoch in konstanter Qualität und zu günstigen Preisen verfügbar sein, um im industriellen Maßstab als Rohstoffquelle dienen zu können. Neue Verfahren sollen dabei ohne Lebens- und Futtermittel auskommen.
»Die Nutzung nachwachsender Rohstoffe in industriellen Dimensionen ist selbst für große Unternehmen ein erheblicher finanzieller und technologischer Kraftakt. Viele kleine und mittlere Unternehmen scheitern, obwohl sie im Labor bereits attraktive Produkte erfolgreich entwickelt haben. Mit der Schaffung des CBP unterstützen wir daher gezielt diesen kritischen Schritt auf dem Weg in die industrielle Anwendung innovativer Produkte und Verfahren unter Nutzung der industriellen Biotechnologie. Dadurch stärken wir nicht nur die regionale Kompetenz und schaffen die Grundlage für neue Arbeitplätze in der Region, sondern setzen auch ein Zeichen mit nationaler Signalwirkung«, erläuterte Haseloff die herausragende Bedeutung des CBP für das Land Sachsen-Anhalt.
»Das neue Chemisch-Biotechnologische Prozesszentrum CBP schließt die Lücke zwischen Labor und industrieller Umsetzung«, bestätigt Marion Schick. »Das Zentrum in Leuna soll allen Kooperationspartnern für Forschung und Entwicklung zur Verfügung stehen. Die neue Projektgruppe ist eng mit den Fraunhofer-Instituten vernetzt und kann auf die Kompetenzen der Fraunhofer-Kolleginnen und Kollegen zurückgreifen.«
Wissenschaftler der Fraunhofer-Institute für Grenzflächen und Bioverfahrenstechnik IGB und für Chemische Technologie ICT planen das CPB gemeinsam mit der InfraLeuna GmbH, der Standortbetreibergesellschaft des Chemiestandorts Leuna. Mit diesem sehr flexibel einsetzbaren Bioraffineriekonzept bieten sich neue Möglichkeiten, um in Zukunft biologische Rohstoffe verarbeiten zu können und nach Bedarf Öle, Fette, Cellulose, stärke- oder zuckerhaltige Rohstoffe als Ausgangsstoffe für Produkte zu gewinnen. Durch das Engagement sollen neue, hochwertige Arbeitsplätze geschaffen und die Ansiedlung von Biotechnologiefirmen gefördert werden. Nach der Aufbauphase werden ca. 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am CBP tätig sein.
»Als klassischer Chemiestandort sind unsere produzierenden Unternehmen bisher weitgehend von fossilen Rohstoffen abhängig. Mit regenerativen Rohstoffen können wir sowohl diese Abhängigkeit als auch CO2-Emmissionen weiter reduzieren. Das CBP ist ein wichtiger erster Schritt in diese Richtung« sagt Andreas Hiltermann, Geschäftsführer der InfraLeuna GmbH.
Sachsen-Anhalt wird an der Gesamtinvestition von derzeit geplanten 50 Millionen Euro einen Anteil von 20,1 Mio Euro sowie die Anschubfinanzierung der Projektgruppe beitragen. Die restlichen Mittel sollen durch das Engagement der Industrie, mittels Bundeszuwendungen der Fraunhofer-Gesellschaft und im Rahmen mehrerer konkreter Forschungsprojekte mit Unterstützung unterschiedlicher Bundesministerien aufgebracht werden. Erste Projekte sollen von den Bundesministerien für Bildung und Forschung (BMBF), für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) und für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) finanziert werden.
Die Fraunhofer-Gesellschaft plant, sich mit 9,6 Mio Euro aus der Grundfinanzierung des BMBF zu beteiligen.
Finanzminister Jens Bullerjahn erklärte in seinem Statement, dass es in der jetzigen Finanzkrise besonders notwendig sei, die zur Verfügung stehenden öffentlichen Mittel strategisch so einzusetzen, dass zukunftsfähige Strukturen weiter gefördert und gefestigt werden. »Das CBP verbindet nachhaltige Rohstoffnutzung, moderne Biotechnologie und Chemie. Damit gehört es zu den Vorhaben, die den Standort Leuna und damit den mitteldeutschen Raum strukturell weiter voranbringen«
Gegenwärtig planen 23 Industrieunternehmen sowie 15 Universitäten und Forschungseinrichtungen ihre Beteiligung an den Projekten. Ihr Ziel ist es, die Prozesse vom Rohstoff über den Biokatalysator und der Skalierung der benötigten Verfahren zum gewünschten Produkt und in die industrielle Umsetzung zu bringen. »Wir möchten nun die im Labor entwickelten Verfahren und Prozesse in Größenordungen testen, die für die Industrie relevant sind. Dazu benötigen wir die Infrastruktur und Anlagen«, erklärt Professor Thomas Hirth vom Fraunhofer IGB. Sobald der Fraunhofer-Senat und der Bund-Länder-Ausschuss zugestimmt haben, kann die Forschungsarbeit losgehen.