Verzuckerung von Lignocellulose

Lignocellulose, das Strukturmaterial in der Zellwand aller holzigen Pflanzen, ist der am häufigsten vorkommende nachwachsende Rohstoff. Im Jahre 2008 lag die weltweite Verfügbarkeit von Rohholz bei 3,4 Milliarden Kubikmetern. Lignocellulose ist Hauptbestandteil von Reststoffen wie Stroh oder Holz, die als sogenannte Rohstoffe der zweiten Generation (nicht auf Stärke-Basis) nicht mit der Nahrungsmittelproduktion in Konflikt stehen.

Lignocellulose besteht im Wesentlichen aus polymeren C6- und C5-Zuckern (Cellulose, Hemicellulose) sowie dem Biopolymer Lignin (phenolisches Makromolekül). Diese Bestandteile können nach einem geeigneten Aufschluss und anschließender Spaltung in deren Monomerbausteine als Ausgangsmaterialien für biobasierte Plattformchemikalien und Werkstoffe dienen. Das Fraunhofer IGB beschäftigt sich mit der Optimierung und Skalierung der einzelnen Prozessschritte der Lignocellulosebehandlung, um die Hauptbestandteile verschiedener lignocellulosehaltiger Rohstoffe möglichst ganzheitlich für eine weitere stoffliche Verwertung bereitzustellen und somit einen wesentlichen Beitrag zur Etablierung einer Lignocellulose-Bioraffinerie zu leisten.

Schema der Fraktionierung von Lignozellulose.
Schema der Fraktionierung von Lignozellulose.

Aufschluss

Lignocellulose ist aufgrund seiner kompakten Struktur und des hohen Ligninanteils im Gegensatz zu zucker- und stärkebasierten Rohstoffen wie Zuckerrüben und Kartoffeln sehr beständig gegenüber einem enzymatischen Angriff. Aus diesem Grund benötigt man für lignocellulosebasierte Rohstoffe geeignete Aufschlussmethoden, um für diese biogenen Rohstoffe eine optimale Koppelnutzung zu gewährleisten. Durch den Aufschluss werden die Komponenten Lignin (aromatische Verbindungen), Cellulose (C6-Zucker) und Hemicellulose (C5-Zucker) effektiv voneinander separiert und für die stofflich-industrielle Nutzung verfügbar gemacht.

Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Aufschlussprinzipien, die sich in physikalische, physikalisch-chemische, chemische und biologische Verfahren einteilen lassen. Hierbei sind die sogenannten Organosolv-Prozesse von besonderem Interesse, welche eine Vielzahl an Verfahren umfassen, die entweder organische Säuren, Alkohole oder Aromaten als Lösemittel in Kombination mit Wasser verwenden. Alkohole, vor allem niedermolekulare Alkohole, sind die in Organosolv-Prozessen am häufigsten verwendeten organischen Lösemittel, da diese eine energetisch günstigere Rückgewinnung gewährleisten. Welche Bedingungen und Chemikalien beim Organosolv-Verfahren eingesetzt werden, hängt von der eingesetzten regenerativen Rohstoffquelle und den angestrebten Zielprodukten ab.

Beim Aufschluss von Lignocellulose entstehen in der Regel zwei Wertstoffströme, zum einen die cellulosehaltige Faser, die nachfolgend durch cellulolytische Enzyme zu Glukose hydrolysiert werden kann (Faserhydrolysat), zum anderen eine flüssige Aufschlusslösung. In dieser Aufschlusslösung sind gelöste Hemicellulose-Zucker sowie gelöstes Lignin enthalten. Nach Abtrennung des Lignins mittels Ausfällen können auch diese Bestandteile getrennt weiterverwertet werden.

Verzuckerung

Durch den Aufschluss erhält man aus Lignocellulose, wie oben beschrieben, die Stoffströme Cellulosefaser und den Überstand der Aufschlusslösung (Hemicellulose). Im nächsten Schritt erfolgt die Gewinnung der monomeren Zucker aus Cellulose bzw. Hemicellulose durch enzymatische Behandlung. Dazu werden Enzymkomplexe eingesetzt, welche synergistisch zusammenwirken, um eine optimale Zuckerausbeute zu erzielen. Cellulasen spalten Cellulose in die enthaltenen Glukose-Einheiten, Hemicellulasen setzen die in Hemicellulose enthaltenen Zuckerarten, hauptsächlich Xylose, frei.

Ein weiterer Effekt des Aufschlusses ist die Veränderung der Kristallinität der zurückbleibenden Cellulosefraktion und eine Erhöhung der spezifischen Oberfläche der Faserpartikel. Dies erleichtert die Adsorption der Enzyme und erhöht so die Ausbeute. Des Weiteren ist die gleichmäßige Verteilung der hydrolytischen Enzyme durch eine ausreichende Vermischung der Pulpemasse für eine optimale Raum-Zeit-Ausbeute des Hydrolyse-Prozesses von großer Bedeutung. Am Fraunhofer IGB wurde ein leistungsstarkes Rührreaktorsystem entwickelt, das sich durch die besondere Rührer-Geometrie zur Durchmischung von Faserpulpe mit bis zu 30 Prozent Feststoffanteil eignet. Es konnte dabei Ausbeuten von > 100 g/kg Glukose erreicht wurden. So kann eine vollständige Hydrolyse und damit eine ganzheitliche Nutzung der Cellulosefraktion gewährleistet werden.

Verwertung der einzelnen Fraktionen

Die erhaltenen Fraktionen eignen sich für unterschiedliche Anwendungen. Das glukosehaltige Faserhydrolysat kann von einer Vielzahl an Mikroorganismen als Substrat in Fermentationen verwertet werden. Nach Ausfällen des Lignins und einer enzymatischen Spaltung der enthaltenen Zucker-Oligomere kann neben dem Faserhydrolysat auch die hemicellulosereiche Aufschlusslösung zur Fermentation von Mikroorganismen verwendet werden. Durch die gewählte Aufschlussmethode können die Fraktionen ggf. toxische Abbauprodukte der Lignocellulose wie Furfural oder Hydroxymethyl-Furfural enthalten, welche das Wachstum von Mikroorganismen beeinträchtigen können. Um die Fermentierbarkeit für solche Organismen zu erhöhen, können Detoxifikationsmethoden angewendet werden. Hierzu haben wir am Fraunhofer IGB ein enzymatisches Verfahren zur Detoxifizierung etabliert. Eine Laccase aus Trametes versicolor wurde immobilisiert und die minimale benötigte Enzymkonzentration ermittelt, um > 80 % der aromatischen Substanzen aus der Lösung zu entfernen. Zudem konnte gezeigt werden, dass für diesen Prozess kein Laccase-Mediator benötigt wird. Die restlichen toxischen Substanzen können dann z. B. durch Adsorption an Trägermaterialien aus den Fraktionen entfernt werden.

Lignin ist die größte natürliche, regenerative Rohstoffquelle für aromatische Verbindungen. Eine stofflich-industrielle Nutzung von Lignin verlangt eine Konversion des Rohstoffes zu geeigneten Biosynthesebausteinen, welche wiederum zu Polyurethan oder anderen Kunststoffen polymerisiert werden können.

Für den natürlichen Abbau von Holz und ligninhaltiger Biomasse sind verschiedene Organismen bekannt. Dabei handelt es sich um Insekten, Weißfäulepilze und Bakterien. Diese Organismen produzieren unterschiedliche Enzymcocktails, welche benötigt werden, um die komplexe Struktur des Lignins zu degradieren. Bisher gibt es keinen großtechnischen biotechnologischen Prozess zur Lignin-Degradierung und -Modifizierung. Eine wesentliche Voraussetzung für die zukünftige Nutzung biotechnologischer, ökologischer Verfahren zur effizienten Verwertung von Lignin ist die Verfügbarkeit effizienter und stabiler Biokatalysatoren.

 

Ziele und Strategien

Neben der Verbesserung der enzymatischen Hydrolysierbarkeit soll ein geeigneter Biomasseaufschluss zu einer Minimierung der Zucker- und Ligninabbauprodukte führen, um die Fermentierbarkeit der anfallenden Zuckerströme zu gewährleisten und den Ausbeuteverlust der Zuckerarten zu minimieren. Harsche physikalisch-chemische Aufschlussverfahren führen allerdings zum Verlust und einer Qualitätsminderung einzelner Fraktionen. Ein geeignetes Vorbehandlungsverfahren soll darüber hinaus das entfernte Lignin und die gelöste Hemicellulose nutzbar machen, um Folgeprodukte wie Xylitol aus Xylose oder Ligninpolymere herstellen zu können. Daher sind eine Reihe neuer Methoden und Methodenkombinationen notwendig, um zu technisch verwertbaren Bausteinen für chemische Folgeprodukte zu gelangen und damit Plattformtechnologien zur Etablierung einer Lignocellulose-Bioraffinerie zur Verfügung zu stellen.

Das Fraunhofer IGB beschäftigt sich mit der ökoeffizienten Nutzung des Rohstoffes Lignocellulose und der Etablierung einer Bioraffinierie. Hierbei werden optimale und großtechnisch anwendbare Aufschlussmethoden auf den jeweilligen Rohstoff angepasst und etabliert. Die Lignocellulose wird dabei anhand der geeigneten Aufschlussmethode fraktioniert und die anschließende enzymatische Hydrolyse der Cellulose- und Hemicellulosefraktion hinsichtlich Effizienz und Wirtschaftlichkeit optimiert. Das Verbundvorhaben »Lignocellulose-Bioraffinerie II« zielt darauf ab, das Spektrum der zur Verfügung stehenden Biokatalysatoren für die Lignindegradation zu erweitern. Hierfür werden Weißfäulepilze und Bakterienstämme auf ihre Eignung zur fermentativen Lignindegradierung untersucht. Geeignete Enzyme werden rekombinant produziert und für zellfreie biotechnologische Prozesse herangezogen.

Bisherige Ergebnisse und Ausblick

Fermentation von Candida im 42-Liter-Bioreaktor.
© Fraunhofer IGB

Am Fraunhofer IGB wurden verschiedene Aufschlussmethoden für unterschiedliche nachwachsende Rohstoffe auf Lignocellulosebasis etabliert. Für den jeweiligen Rohstoff wurden die Aufschlussbedingungen optimal angepasst. Die erzielten Ergebnisse dienten unter anderem zur Auslegung einer Bioraffinerie-Pilotanlage, die anschließend am Fraunhofer-Zentrum für Chemisch-Biotechnologische Prozesse CBP in Leuna realisiert wurde.

Außerdem wurde die Verzuckerung von Cellulose in einem Rührreaktorsystem optimiert. Mit diesem System konnte eine Hydrolyse bei hohem Feststoffgehalt durchgeführt werden, wodurch Glukosekonzentrationen von > 100 g/kg erreicht wurden. Bei einer minimalen Enzymdosierung konnte eine maximale Ausbeute von 70 Prozent innerhalb von 48 Stunden erreicht werden.

Zusätzlich zur enzymatischen Hydrolyse der Cellulosefaserfraktion wurde die fermentative Verwertung der zuckerhaltigen (hauptsächlich C5-Zucker) Aufschlusslösung betrachtet. Des Weiteren hat sich unsere Forschung mit weiteren ergänzenden Detoxifikationsmethoden beschäftigt, um eine selektive und vollständige Entfernung toxischer Substanzen zu ermöglichen. Damit können die gewonnenen Zucker als Fermentationsrohstoff mikrobiell verwerten werden.

Im Anschluss wird ein Scale-up der Prozessschritte »Aufschluss« und »Hydrolyse« in Zusammenarbeit des Fraunhofer IGB in Stuttgart mit dem Fraunhofer CBP in Leuna bis zu einem Maßstab von 1 m3 durchgeführt, um das Konzept eines integrierten Prozessansatzes vom Rohstoff Lignocellulose bis zur Produktgewinnung im Sinne einer Bioraffinerie umzusetzen.

Die Forschungsarbeiten am Fraunhofer IGB beschäftigen sich mit der Suche ligninolytischer Enzyme aus Pilzen und Bakterien. Im Speziellen forscht das Fraunhofer IGB in Stuttgart an der Identifizierung, Charakterisierung und Bereitstellung extrazellulärer ligninolytischer Enzyme aus bestimmten Ständerpilzen, den so genannten Weißfäulepilzen. Geeignete Stämme und Kombinationen von Stämmen (Co-Kulturen) wurden charakterisiert und deren Expressionsleistung durch unterschiedliche Medienzusammensetzung und Induktoren optimiert, um möglichst gezielt ligninspaltende Enzyme, beispielsweise Etherasen oder Laccasen und Peroxidasen, in hohen Mengen zu produzieren. In Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer CBP wurde die Ausbeute an ligninolytischen Enzymen in Submers-Pilzkulturen weiter optimiert und auf einen größeren Maßstab bis zu 10 Liter übertragen.

Neben Pilzen werden auch ligninolytische Bakterien betrachtet. Sowohl intrazelluläre Enzyme des Aromatenstoffwechsels als auch neue potenzielle ligninolytische Enzyme wurden in den sequenzierten Genomen ausgewählter Bakterienstämme identifiziert. Es konnte bereits eine Peroxidase eines ligninolytischen Bakteriums aktiv exprimiert und gereinigt werden. In weiteren Untersuchungen sollen die katalytischen Eigenschaften von bakteriellen Peroxidasen und Enzymen des Aromatenstoffwechsels und deren Potenzial zur Ligninmodifizierung aufgeklärt werden.

Leistungsspektrum

Analysen

  • Analyse der Zusammensetzung Ihrer (vorbehandelten) Lignocellulose-Substrate
  • Faseranalyse nach der NREL-Methode: Determination of Structural Carbohydrates and Lignin in Biomass (Stand der NREL Methode: Juli 2011)
    Analyte: Glukose, Cellobiose, Furfural, Lävulinsäure, Ameisensäure, Essigsäure, Ethanol, Hydroxymethyl-Furfural, Xylose/Mannose/Galaktose, Arabinose, Lignin (säurelösliches und säureunlösliches)
  • Analyse der Aufschlussflüssigkeiten nach der NREL-Methode: Determination of Sugars, Byproducts and Degradation Products in Liquid Fraction Process Samples” (Stand der NREL-Methode August 2006)
    Analyten: Glukose, Cellobiose, Furfural, Lävulinsäure, Ameisensäure, Essigsäure, Ethanol, Hydroxymethyl-Furfural, Xylose/Mannose/Galaktose, Arabinose
  • Analytik Ihrer Hydrolysate als Auftragsanalytik

Vorbehandlungs- und Aufschlussmethoden

  • Etablierung/Optimierung von Vorbehandlungsmethoden für unterschiedliche Lignozellulosematerialien (als Auftragsforschung)
  • Verzuckerung Ihrer Lignocellulose-Substrate, ggf. mit Vorbehandlung
  • Aufschluss von Lignozellulose zur Zucker- oder Ligninbereitstellung im 1-m³-Maßstab am Fraunhofer-Zentrum für Chemisch-Biotechnologische Prozesse CBP, Leuna
  • Optimierung von Lignozellulose-Aufschlüssen im 1-Liter-Druckreaktor
  • Optimierung der Enzymdosierung für die Hydrolyse von Zellulose und Hemizellulose mittels statistischer Versuchsplanung
  • Optimierung der Hydrolyse für hohen Trockenstoffgehalt
  • Verwendung von unkonventionellen Lösemitteln (z. B. ionische Flüssigkeiten) für den Aufschluss von Lignozellulose

Modifizierung

  • Enzymatische Modifizierung von Lignin
  • Entwicklung von Assays für ligninmodifizierende Enzyme