Von der Bioabfallverwertungsanlage zur Bioraffinerie
Das Projekt »Biowaste to products« (BW2Pro) leistet einen positiven Beitrag zur Klimaneutralität, da Bioabfall als wertvoller Rohstoff anerkannt und einer möglichst hochwertigen stofflichen Nutzung zugeführt wird. Das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg finanziert das Projekt, bei dem eine bestehende Bioabfallverwertungsanlage zur dezentralen Bioraffinerie mit der Möglichkeit der Gewinnung von Sekundärrohstoffen und Endprodukten erweitert werden soll.
Insgesamt werden im Vorhaben BW2Pro vier hochwertige Sekundärrohstoffe (Fasern, Cellulasen, Polyhydroxyalkanoate (PHA) und Biogas) sowie zwei fertige Produkte (bioabbaubare Pflanztöpfe und Dünger) in der Bioraffinerie hergestellt. Der Großteil der im Prozess anfallenden Reststoffe wird im Kreis geführt. Die Bioraffinerie wird auf dem Gelände der Bioabfallvergärungsanlage der Abfallwirtschaft Rems-Murr in Backnang-Neuschöntal aufgebaut und betrieben. Die Gesamtprojektkoordination liegt bei der Universität Stuttgart am Institut für Siedlungswasserbau, Wassergüte- und Abfallwirtschaft (ISWA) und der Landesanstalt für Agrartechnik und Bioenergie der Universität Hohenheim.
Weitere Projektpartner sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Institute für Grenzflächenverfahrenstechnik und Plasmatechnologie (IGVP), für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER) sowie des Instituts für Kunststofftechnik (IKT) der Universität Stuttgart, des Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB, des Instituts für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu) sowie der Hochschule Offenburg. In Zusammenarbeit mit der Landesgesellschaft BIOPRO Baden-Württemberg (BIOPRO), der Abfallwirtschaft Rems-Murr und der Tübinger Novis GmbH soll die Transformation einer bestehenden Bioabfallverwertungsanlage in eine Bioraffinerie vorgenommen werden. Das Projekt hat zum Ziel, eine möglichst hochwertige Verwertung des Rohstoffs Bioabfall durch die Produktion von Sekundärrohstoffen für die Industrie und Produkten für Endanwender zu erreichen.
Kommunale Bioabfälle als wertvolle Ressource
Das Institut für Siedlungswasserbau, Wassergüte- und Abfallwirtschaft (ISWA) der Universität Stuttgart beschäftigt sich am Beginn der Verfahrenskette mit der Aufbereitung und Charakterisierung der kommunalen Bioabfälle im Pilotmaßstab. »Unsere Aufgabe ist es, Lösungen für die Aufbereitung und Störstoffabscheidung zu entwickeln und diese wissenschaftlich zu begleiten. Wir sehen kommunale Bioabfälle als wertvolle, organische Ressource und bereiten diese für die Erzeugung hochwertiger Produkte auf, wodurch bestehende Verwertungswege für Bioabfälle ergänzt und erweitert werden«, erläutert Dr. Claudia Maurer, eine der Verbundkoordinator:innen, vom Stuttgarter ISWA. Bei BW2Pro werden auf der bestehenden Bioabfallvergärungsanlage der Abfallwirtschaft Rems-Murr die angefallenen Bioabfälle u. a. mittels eines Hydrozyklons weitergehend aufbereitet und so für die weiteren Verfahrensschritte vorbereitet. Damit kann der Bioabfall als hochwertige organische Rohstoffquelle in weiteren Verfahrensschritten zur Gewinnung von Produkten im Sinne der Bioökonomie eingesetzt werden.
»Wir sind überzeugt, dass die Arbeit einen entscheidenden Beitrag zur Wertschöpfung aus der Ressource Bioabfall beiträgt. Durch die Verwendung der Fasern können Plastiktöpfe substituiert werden. Außerdem kann ein Teil der Fasern als Mulchschicht auf landwirtschaftlichen Flächen eingesetzt werden. Die Produktion von Biogas ersetzt die Nutzung von Erdgas. Für die innovative Kaskadennutzung spielen insbesondere die innovative Aufbereitung und Hochleistungsfermentation eine entscheidende Rolle«, ergänzt Dr. Hans Oechsner, Leiter der Landesanstalt für Agrartechnik und Bioenergie an der Universität Hohenheim.
Kaskadische Nutzung: Hochwertige stoffliche und energetische Verwertung
Sein Team testet dabei mit der Thermodruckhydrolyse ein innovatives Verfahren zur Auftrennung des Bioabfalls. Ziel ist, den Bioabfall in einer Kaskade sowohl hochwertig stofflich als auch energetisch zu nutzen. Um dies zu erreichen, wird der Bioabfall nach einer Zerkleinerung und Störstoffabscheidung in einer Anlage zur Thermodruckhydrolyse bei etwa 160 °C und einem Druck von fünf Bar erhitzt. Im anschließenden schlagartigen Entspannungsschritt platzen die Zellen des Bioabfalls, sodass die Fasern von den Zellinhaltstoffen getrennt werden können. Über Separatoren werden Fasern und nährstoffhaltige Flüssigkeit abgesondert, um sie entsprechend zu verwerten. Die Flüssigkeit wird auch anderen Projektpartnern für die Erzeugung von PHA oder Enzymen zur Verfügung gestellt.
Nach dem Aufschluss wird die Flüssigkeit abgepresst und in einer zweistufigen Hochleistungsbiogasanlage verwertet. Diese Anlage besteht aus einem Festbettreaktor mit vorgeschalteter Hydrolyse. Der Aufbau erlaubt die Verwertung sehr flüssiger Substrate sowie eine flexible Biogasproduktion, die direkt an den Bedarf der Verbraucher angepasst werden kann. Diese unterstützt darüber hinaus mit Blick auf die Anwendung volatile erneuerbare Energien wie Wind und Photovoltaik und stellt somit eine entscheidende Systemdienstleistung zur Verfügung. Der Gärrest wird für eine Abtrennung von Nährstoffen bereitgestellt.
Von der Faser zum Produkt
Die abgetrennten Fasern wiederum werden getrocknet und danach gesiebt, um sie in verschiedene Längen einzuteilen. Diese können anschließend unterschiedlichen Verwertungswegen zugeführt werden. Die Novis GmbH, Spezialist für biobasierte Technologien, wird die Faseranteile zu Produkten verarbeiten: Faserbasierte Pflanztöpfe und Faser-Biokunststoffverbund-Werkstoffe sollen in größeren Stückzahlen produziert werden. Die übrigen Grobfasern werden von ökologisch wirtschaftenden Landwirten als Mulchmaterial eingesetzt. Sie reduzieren den Wasserverbrauch der Pflanzen, vermeiden Unkraut und bringen CO2 dauerhaft in den Boden ein. »Die Faserverwertung ist parallel zum Biogasprozess machbar. Damit kann der Landwirt höhere Wertschöpfungspotenziale realisieren«, erklärt Dr. Thomas Helle, Geschäftsführer der Novis GmbH.
Lokale Nährstoffkreisläufe schließen, Wertschöpfung steigern
Das Fraunhofer IGB befasst sich mit der Nährstoffrückgewinnung: Speziell werden Mehrnährstoffdünger und Ammoniumdünger, oder Rohstoffe dafür, aus dem Gärrest des neuen Biogasreaktors zurückgewonnen. Der verbleibende nährstoffarme Flüssiggärrest kann zum Teil in den Prozess zurückgeführt oder, durch die vorherige Stickstoff-Abreicherung, ohne Sorge vor steigenden Nitratkonzentrationen im Grundwasser als Beregnungswasser ausgebracht werden. »Durch lokale Nährstoffkreisläufe wird eine bessere regionale Wertschöpfung erreicht«, so Christiane Chaumette vom Fraunhofer IGB.
Vom Bioabfall zum Kunststoff
Die Produktion von PHA übernimmt das Institut für Grenzflächenverfahrenstechnik und Plasmatechnologie (IGVP) der Universität Stuttgart. Zielstellung hierbei ist die biologische Produktion von PHA mit einem hohen Valeratanteil, um die Fermentations- und Aufreinigungsprozesse zu optimieren, diese Prozesse bis zum 1000-Liter-Fermentationsmaßstab aufzuskalieren und Mustermengen für die Kunststoffherstellung zu Verfügung zu stellen. »Für die Fermentation werden Stoffströme aus den Prozessen der anderen Projektpartner eingesetzt und im Labormaßstab Untersuchungen durchgeführt, um die geeigneten Stoffströme für die ausgewählten Mikroorganismen zu identifizieren, so dass ein optimales Wachstum und Produktivität möglich ist«, konkretisiert Dr. Susanne Zibek, Projektleiterin am IGVP.
Das Institut für Kunststofftechnik der Universität Stuttgart wiederum beschäftigt sich mit der Aufbereitung des PHA zu marktfähigen Kunststoffen. »Für eine industrielle Nutzung müssen PHA im Doppelschneckenextruder modifiziert werden«, so Univ.-Prof. Dr.-Ing. Christian Bonten. Wie die meisten konventionellen Polymere auch, können die Biopolymere der PHA-Familie nicht in Reinform verarbeitet werden. Daher sollen sie im Doppelschneckenextruder mit geeigneten Zusatzstoffen so zu Biokunststoffen aufbereitet werden, dass die Verarbeitung auf gängigen Maschinen der Kunststofftechnik möglich wird. Dies soll helfen, den Weg zu einem industriellen Einsatz von PHA zu ebnen.
Die Hochschule Offenburg übernimmt die biotechnologische Enzymproduktion aus dem Bioabfall. Diese Enzyme können projektintern eingesetzt werden, um die Cellulosebestandteile in der Biotonne in biologisch leicht verwertbare Zuckerbausteine zu spalten. Die geplanten mikrobielle Umsetzungen der Projektpartner wie zum Beispiel die Herstellung von Biopolymeren (in Form von PHA) oder die Biogaserzeugung könnten dadurch effizienter stattfinden. »Die Produktion und der Einsatz von Cellulasen kann helfen die Nachhaltigkeit des Gesamtprojekts zu steigern, da ein größerer Anteil des Bioabfalls in Wertprodukte überführt wird«, erläutert Dr.-Ing. Andreas Wilke von der Hochschule Offenburg.
Bewertung des Gesamtsystems und Technologietransfer
Neben der Entwicklung geeigneter Prozesstechnologien darf eine begleitende und vor allem ganzheitliche Bewertung der ökonomischen und ökologischen Faktoren nicht fehlen.
Das Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER) der Universität Stuttgart führt eine ökonomische Analyse und Bewertung der Technologien sowie des Gesamtverfahrens durch. Dabei werden betriebswirtschaftliche und sektorspezifische bzw. gesamtwirtschaftliche Kenndaten berücksichtigt. In Kooperation mit dem ifeu Heidelberg sollen im Rahmen eines gesamtheitlichen Ansatzes auch ökologische Effekte in ein ökonomisches Bewertungsschema integriert werden. »Mit unserer ganzheitlichen ökonomischen Bewertung wollen wir erreichen, dass das Verfahren zügig Marktreife erlangt und weiterverbreitet wird. So werden nachhaltige Lösungen auch konkret«, so Dr. Ludger Eltrop, Abteilungsleiter am IER.
Das ifeu Heidelberg übernimmt hierbei die ökologische Begleitforschung. Diese beinhaltet mehrere Aufgabenstellungen: Zentrale Aufgabe ist die Aufnahme des gesamten Verwertungs- und Produktionssystems, das durch BW2Pro abgebildet wird. Im engen Austausch mit den Projektpartnern werden Daten aufgenommen, die I/O-Bilanzen für die einzelnen Prozesse ermöglichen und damit eine ökologische Bewertung des Gesamtsystems. Dies erfolgt über die gesamte Laufzeit des Forschungsprojekts hinweg, so dass sichergestellt werden kann, dass zum Projektende ein aus ökologischer Sicht optimiertes Produktionssystem erreicht wurde. Die Bioabfallmassen werden nämlich auch bereits heute verwertet. Für diese Verwertungssysteme im Status Quo sowie weitere Optimierungsansätze werden ebenfalls ökologische Bewertungen durchgeführt, die als Benchmark für BW2Pro dienen. »Das Verwertungssystem von BW2Pro muss sich aus ökologischer Sicht beweisen. Aufwand und Nutzen müssen in einem vernünftigen Verhältnis stehen und dies auch im Vergleich zu Verwertungsalternativen«, betont Florian Knappe vom Heidelberger ifeu.
Die BIOPRO Baden-Württemberg stellt schließlich die Anschlussfähigkeit des Vorhabens an Wirtschaft und Gesellschaft durch begleitende Kommunikationsmaßnahmen und Technologietransfer sicher. »Information und Aufklärung sind die Voraussetzungen dafür, dass innovative Prozesse der Bioökonomie und deren Wertschöpfungsketten verstanden und auch sichtbar werden. Nur so können neue Produkte von der Wirtschaft und der breiten Öffentlichkeit unterstützt werden und einen Absatzmarkt finden«, so Dr. Brigitte Kempter-Regel von der BIOPRO Baden-Württemberg.