Problemfall PFAS – Lösungsansätze zur Substitution und Beseitigung

In zahlreichen Industriezweigen spielen per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen, kurz PFAS, aufgrund ihrer Eigenschaften und vielfältigen Einsatzbereiche eine Schlüsselrolle. Die Kehrseite ist, dass sie nicht abbaubar sind und sich in Umwelt, Tier und Mensch anreichern. Da einige PFAS-Substanzen nachweislich die Gesundheit schädigen, diskutiert die Politik ein EU-weites Verbot. Forschende am Fraunhofer IGB arbeiten an unschädlichen Alternativen, mit denen sich PFAS substituieren lassen. Zudem entwickelt das Institut verschiedene Lösungsansätze, um PFAS aus Wasser zu entfernen.

Diese standen auch im Mittelpunkt des 22. Abwasserkolloquiums am Fraunhofer IGB »PFAS und Spurenstoffe im Brennpunkt« im September 2023. Möglichkeiten der PFAS-Substitution sowie werkstoffliche und technische Entwicklungsziele diskutierten Experten der Fraunhofer-Allianz Chemie, darunter Dr. Michaela Müller vom Fraunhofer IGB, bei einem Dialogtag mit den Anwenderbranchen im Oktober 2023.

Ob Pfannen, Regenjacken, Lebensmittelverpackungen oder Feuerlöschschaum – zahlreiche Alltagsprodukte enthalten per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen, kurz PFAS. Dabei handelt es sich um eine Gruppe vielseitiger organisch-chemischer Verbindungen, bei denen die Wasserstoff- durch Fluoratome ersetzt wurden − entweder vollständig (perfluoriert) oder teilweise (polyfluoriert). Dies verleiht ihnen in einzigartiger Weise kombinierte Eigenschaften, beispielsweise wasser-, fett- und schmutzabweisend, welche sie für zahlreiche Branchen und Produkte interessant macht. PFAS-Kunststoffe wie Polytetrafluorethylen (PTFE, Handelsname TeflonR) sind sowohl chemisch als auch thermisch sehr stabil: Hiermit ausgerüstete Oberflächen besitzen zusätzlich reibmindernde und Antihafteigenschaften. Damit sind PFAS vielseitig einsetzbar – als Dichtungsmaterialien, Korrosionsschutzbeschichtungen, Additiv für Schmiermittel, aber auch als Inhaltsstoffe in Kosmetika.

PFAS – Gefahr für Umwelt und Gesundheit

Doch woher kommt ihr schlechter Ruf? Einige PFAS-Vertreter sind mittlerweile unter anderem in Grundwasser und im Menschen nachweisbar. Dies erfordert eine differenzierte Betrachtung der unterschiedlichen PFAS.

Kleinere PFAS-Moleküle wie Perfluoroctansulfonsäure (PFOS) sind nachgewiesenermaßen toxisch für Mensch und Umwelt. Die niedermolekularen PFAS können sich in tierischem Gewebe anreichern und somit auch beim Menschen auf dem Esstisch landen. Über die Nahrung oder das Trinkwasser gelangen die Chemikalien in den menschlichen Körper, mit erheblichen gesundheitlichen Auswirkungen, die von der Schädigung von Organen bis hin zu Krebserkrankungen oder Entwicklungsstörungen reichen.

In vielen Ländern gelten deshalb bereits Grenzwerte für bestimmte PFAS in Trinkwasser. Mit der Novelle der deutschen Trinkwasserverordnung, die Mitte 2023 in Kraft getreten ist, werden die Grenzwerte für PFAS in Wasser in den nächsten Jahren in zwei Stufen herabgesetzt. Auch konkrete Verbote verdeutlichen verschärfte Regulierungen: etwa für Perfluoroctansulfonsäure (PFOS), deren Einsatz im Sinne des Stockholmer Übereinkommens zur Eindämmung von persistenten organischen Chemikalien in der Umwelt auf einige wenige unerlässliche Anwendungsgebiete beschränkt wird.

Bei den höhermolekularen Kunststoffen wie PTFE ist ihre Stabilität und damit Nichtabbaubarkeit in der Umwelt das größte Problem. So ist derzeit schlicht nicht bekannt und absehbar, was in hundert Jahren mit diesen Materialien in der Umwelt geschehen wird, ob sie vielleicht doch in toxische Substanzen umgewandelt werden.

Um dem in Deutschland und der EU vorherrschenden Vorsorgeprinzip gerecht zu werden, ist eine weitere Regulierung solch persistenter Materialien im Gespräch. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass bei der Herstellung von Fluorkunststoffen niedermolekulare PFAS eingesetzt werden, die ebenfalls in die Umwelt gelangen können.

Fraunhofer IGB – Partner für Substitution und Entfernung von PFAS

Angesichts eines drohenden PFAS-Verbots bzw. massiver Beschränkungen bei Herstellung, Verwendung und Lieferung der Industriechemikalien stehen Hersteller und Anwender gleichermaßen vor akutem Handlungsbedarf. Das Fraunhofer IGB unterstützt Unternehmen bei der Suche nach geeigneten Ersatzmaterialien für ihre Produkte, bei der Entwicklung maßgeschneiderter Beschichtungen sowie bei der Bewertung neuer Substanzen und Materialien hinsichtlich möglicher umwelt- und gesundheitsschädigender Wirkungen.

Das Fraunhofer IGB bietet zudem eine breite Palette technischer Lösungen zur Eliminierung von PFAS und anderen Mikroschadstoffen aus Abwässern an, um gesundheitsschädigende Auswirkungen, beispielsweise über das Trinkwasser, zu reduzieren. Neben Membranadsorbern und Adsorberpartikeln zur Konzentrierung und Abtrennung forscht das Institut an verschiedenen AOP-Verfahren, um einen Abbau der persistenten Substanzen zu erreichen.

Dr. Michaela Müller, Abteilungsleiterin »Funktionale Materialien und Oberflächen« vertrat das Fraunhofer IGB beim Dialogtag der Allianz Chemie am 12. Oktober 2023, unter anderem mit ihrem Vortrag »PFAS-Substitution: Was ist realistisch, was ist Wunschdenken?«.
© Fraunhofer Allianz Chemie
Dr. Michaela Müller, Abteilungsleiterin »Funktionale Materialien und Oberflächen« vertrat das Fraunhofer IGB beim Dialogtag der Allianz Chemie am 12. Oktober 2023, unter anderem mit ihrem Vortrag »PFAS-Substitution: Was ist realistisch, was ist Wunschdenken?«.
Dr. Benjamin Wriedt referierte beim Abwasserkolloquium zum Thema »UV- und sonnenlichtgetriebene Photokatalyse«.
© Fraunhofer IGB
Dr. Benjamin Wriedt referierte beim Abwasserkolloquium zum Thema »UV- und sonnenlichtgetriebene Photokatalyse«.
Beim anschließenden Rundgang zeigte Dr. Jakob Barz den Technikumsaufbau zur Entfernung von Spurenstoffen aus Wasser mittels Plasmatechnologie.
© Fraunhofer IGB
Beim anschließenden Rundgang zeigten Paul Reichle (l.) und Dr. Jakob Barz (r.) den Technikumsaufbau zur Entfernung von Spurenstoffen aus Wasser mittels Plasmatechnologie.

Substitution: Unschädliche Alternativen zu PFAS

Im Rahmen der Debatte um die Umwelt- und Gesundheitsgefahr von PFAS haben große Produzenten bereits einen Rückzug aus der Produktion dieser Verbindungen angekündigt. Damit ist abzusehen, dass einige Fluorchemikalien in Zukunft am Markt nicht mehr erhältlich sind, bzw. nur noch zu deutlich höheren Preisen. Es gibt es also viele gute Gründe, nach alternativen Materialien zu suchen.

Aber welche Alternativen gibt es? Das Fraunhofer IGB befasst sich intensiv mit der Frage, welche Materialien hierfür in Frage kommen. Klar ist schon jetzt: Es wird kein Material geben, dass Fluorpolymere für alle verschiedenen Anwendungen ersetzen kann. Vielmehr muss in Zukunft, beispielsweise bei der Entwicklung von Beschichtungen, die beabsichtigte Anwendung mit den jeweils erforderlichen Eigenschaften stärker in den Fokus rücken.

 

Dichtungsringe
Dichtungsringe werden häufig mit PFAS funktionalisiert. Viele Eigenschaften lassen sich auch fluorfrei mittels Gasphasen- oder nasschemischer Beschichtung erzielen.

Fluorfreie Membranmaterialien und Beschichtungen

Das Institut forscht an mehreren Technologien und Verfahren zur Substitution von PFAS, vor allem im Bereich der Beschichtungen. Dazu zählt die Plasmatechnologie, bei der wasserabweisende Beschichtungen, beispielsweise auf Einmalartikeln, mit fluorfreien, für Mensch und Umwelt unschädlichen Gasen, realisiert werden.

Eine wasserabweisende Ausrüstung von Textilien konnten wir erfolgreich auch mittels modifiziertem biobasiertem Chitosan oder bestimmten, von Pilzen gebildeten Proteinen, den Hydrophobinen, erreichen.

Handlungsbedarf und aktuelle Forschungsarbeiten am Fraunhofer IGB gibt es auch bei Membranmaterialien, etwa für die Filtration und Energiewende. Dabei unterstützt das Institut Firmen bei der Materialentwicklung ebenso wie bei der Anpassung oder Umstellung ihrer Herstellungs- und Verarbeitungsprozesse.

Wirkungsbasierte Testung von PFAS-Alternativen

Bei PFAS wurden umwelt- und gesundheitsschädigende Wirkungen erst Jahrzehnte nach ihrer Zulassung offenbar. Dies zeigt, wie wichtig eine umfassende und spezifische öko- und humantoxikologische Bewertung neuer Substanzen zu einem sehr frühen Zeitpunkt – idealerweise bereits in der Entwicklungsphase – ist.

Basierend auf seiner Expertise im Bereich der In-vitro-Zell- und Gewebemodelle hat sich das Fraunhofer IGB deshalb zum Ziel gesetzt, Screening-Testverfahren zu entwickeln, die bereits während der Entwicklung zur Bewertung möglicher PFAS-Alternativen eingesetzt werden können.

Mit am IGB etablierten zellbasierten Assays lassen sich neue Substanzen auf klassische toxikologische Endpunkte wie Effekte auf Zellproliferation oder Toxizität testen. Mit spezifischen, eigens entwickelten und patentierten Reporterzell-Assays sowie komplexen 3D In-vitro-Gewebemodellen, vor allem der Haut, sind darüber hinaus auch gezielt nachteilige Effekte auf Stoffwechselvorgänge in Zellen und Geweben und damit beispielsweise immunmodulierende, sensibilisierende, Zellstress auslösende oder entzündungsfördernde Wirkungen nachweisbar.

Aktuell arbeitet die Abteilung Zell- und Gewebetechnologien unter Leitung von Frau Dr. Burger-Kentischer an der Etablierung spezifischer Reporterzellen beispielsweise zum gezielten Wirkungsnachweis von PFAS auf den Fettstoffwechsel oder zum Nachweis endokriner (hormonähnlicher) Wirkungen.

Das Fraunhofer IGB arbeitet an der Etablierung spezifischer Testsysteme, um die Wirkung von PFAS-Alternativen auf den Fettstoffwechsel nachweisen zu können.

Unsere Entwicklungen und Angebote zur Substitution von PFAS

 

Neue Materialien und Beschichtungen

Mit unserer Expertise im Bereich Polymere, Oberflächen und Beschichtungstechnologien bieten wir Kunden schnell umsetzbare Lösungen für die Substitution von PFAS. Beispiele sind Hydrophob-Ausrüstung mit Antihaft-Plasma-Polymeren sowie reibmindernde und chemikalienresistente Ausrüstungen (Parylen, Plasmabeschichtungen auf Kohlenwasserstoff-/siliziumorganischer Basis).

 

Chitosanbasierte Hydrophob-Ausrüstung

Biobasiertes Chitosan wird bereits als umweltfreundliches Schlichtemittel eingesetzt. Aufgrund seiner chemischen Struktur mit Bindestellen für weitere Funktionalitäten bietet sich das Biopolymer darüber hinaus auch zur nachhaltigen Veredlung und fluorfreien Hydrophob-Ausrüstung von Textilien an. Die Ausrüstung konnte bereits auf Papier und Pappe adaptiert werden.

 

Hydrophobe Proteine

Um die Hydrophobie von Oberflächen gezielt einzustellen, könnten Proteine aus Pilzen eine biologische Alternative zu fluorierten Kohlenwasserstoffen darstellen. Am IGB steht mit rekombinant hergestellten Hydrophobinen eine Toolbox zur Verfügung, die Materialoberflächen ohne chemische oder physikalische Vorfunktionalisierung wasserabweisende Eigenschaften verleihen. 

 

 

 

Fluorfreie Membranen

Das Fraunhofer IGB arbeitet an der Substitution fluorhaltiger Membranen für Filtration und Energiewende. Dabei unterstützt das Institut Firmen bei der Materialentwicklung ebenso wie bei der Anpassung oder Umstellung ihrer Herstellungs- und Verarbeitungsprozesse.

Entfernung von PFAS aus Wasser

Doch was ist mit den PFAS, die bereits im Umlauf und in Böden, Gewässern und Grundwasser nachzuweisen sind? In die Umwelt gelangen PFAS, wie bereits erwähnt, bei der Herstellung fluorhaltiger Kunststoffe oder beim Einsatz von Löschschaum. Zu einem nicht unerheblichen Teil werden PFAS auch über Abrieb von Kunststoffprodukten und beschichteten Textilien in die Umwelt eingetragen. Ein Problem sind PFAS-haltige Abfälle auf Deponien, bei denen die fluorierten Substanzen ins Sickerwasser ausgewaschen werden.

Hier sind Wasser-Aufbereitungsverfahren gefragt, mit denen sich belastetes Wasser reinigen lässt. Allerdings werden bei einer Filterung durch Aktivkohle als gängiges Verfahren schädliche PFAS zwar gebunden, aber nicht beseitigt, sodass die Überreste als Sondermüll entsorgt bzw. gelagert werden müssen.

Ziel: Vollständiger Abbau von Mikroschadstoffen

Mit seiner Expertise verfolgt das Fraunhofer IGB daher bevorzugt Strategien bzw. Technologien, mit denen PFAS (und andere Spuren- oder Mikroschadstoffe) aus Wasser nicht nur entfernt, sondern im besten Fall vollständig abgebaut werden können. Dies ist grundsätzlich möglich mit verschiedenen AOP-Verfahren (Advanced Oxidation Processes), zu denen auch Plasma-basierte oder photokatalytische Methoden zählen.

Technologien zum Abbau der Chemikalien, die im Labor- und Technikumsmaßstab auch mit realen Wasserproben bereits erfolgreich demonstriert wurden, gilt es nun zu skalieren und mit Partnern unter den realen Bedingungen industrieller Standorte zu evaluieren und für den breiten Einsatz bei akuten Schadensfällen oder in Produktionsbetrieben weiterzuentwickeln.

Unsere Entwicklungen und Angebote zur Entfernung von PFAS und Spurenschadstoffen aus Wasser

 

Plasma-Reinigung von belasteten Wässern

Mit dem Atmosphären-Wasserplasma steht uns ein Verfahren zur Verfügung, mit dem die Eliminierung von PFAS aus Grund-, Sicker- und Waschwasser möglich ist. Die Behandlung zeichnet sich dadurch aus, dass die Verunreinigungen abgebaut und damit eliminiert werden können. So entfällt die nachgeschaltete und teils kostenintensive Entsorgung, wie sie bei Reinigungstechnologien erforderlich ist, welche PFAS lediglich immobilisieren.

 

AOP-Verfahren zur Behandlung belasteter Wässer

Bei der Entscheidung für die richtige Technologie zur oxidativen Entfernung von Spurenstoffen aus Wasser bietet das IGB technologie- und firmenunabhängige Beratung und Untersuchungen an.  Neben etablierten AOP-Verfahren sind am Institut Laboranlagen für eine dynamisch geregelte UV-C/H2O2-Behandlung und für die Oxidation mit Diamantelektrode vorhanden. Außerdem werden verschiedene Komponenten für eine hocheffiziente Photokatalysebehandlung getestet, die mit UV-A-LEDs, sichtbaren LEDs, Sonnenlicht oder einer Kombination daraus betrieben werden.

Weitere Informationen

 

Fraunhofer-Allianz Chemie

Das Fraunofer IGB ist Mitglied in der Allianz Chemie, deren Institute an einer Vielzahl von PFAS-relevanten Fragestellungen forschen und damit eine einzigartig breite Fachexpertise zur Verfügung stellen.

 

Titelthema: Jahrhundert-Gifte PFAS

Auswege für Wasser, Wirtschaft, Welt

Fraunhofer-Magazin
4/2023

Kontakt

Michaela Müller

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Dr. Michaela Müller

Abteilungsleiterin Funktionale Oberflächen und Materialien

Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB
Nobelstr. 12
70569 Stuttgart

Telefon +49 711 970-4140

Fax +49 711 970-4200