Feinchemikalien synthetisieren
Technologie-Schub für die Produktion von Arzneimitteln
Die Produktion von Feinchemikalien, beispielsweise für Pharmazeutika, ist in der Regel komplex und aufwendig. Ein interdisziplinäres Team von Fraunhofer-Forschenden hat in gemeinsamen Projekten ein Verfahren nach dem Vorbild einer Kaskade entwickelt, bei dem mehrere aufeinanderfolgende Synthesestufen ohne Unterbrechung durchlaufen. Möglich wird dies durch den Einsatz neuartiger Katalysatoren in speziell angepassten Durchflussreaktoren. Damit wird die Herstellung der Medikamente effizienter und energiesparender. So unterstützt die modular aufgebaute Technologie-Plattform die Produktion von Arzneimitteln am Standort Deutschland.
In der chemischen Industrie gehören Feinchemikalien zu den sehr hochwertigen Produkten. Sie sind überall da gefragt, wo es weniger um große Mengen als um präzise Wirkung und hohe Reinheitsgrade geht, beispielsweise bei der Produktion von Arzneimitteln. Die Herstellung von Feinchemikalien ist komplex und erfordert in der Regel mehrere, aufeinander folgende Reaktionsschritte. Die Syntheseverfahren sind seit vielen Jahren etabliert, aber auch technisch weitgehend ausgereizt.
Fraunhofer-Forschende haben nun in zwei Projekten einen innovativen Syntheseprozess zur Herstellung von Feinchemikalien entwickelt. Während herkömmliche Verfahren mit einer Abfolge diverser Reaktoren und Rührkesseln arbeiten, bei der nach jeder Reaktion die entstandene Produktlösung für den nächsten Schritt vorbereitet und in einen anderen Behälter überführt werden muss, entsteht das Endprodukt bei dem neuen Verfahren in einer kontinuierlich ablaufenden Synthesekaskade, im besten Fall innerhalb eines Reaktors. Das Verfahren führt zu einer wesentlich effizienteren Prozessführung und einer nachhaltigeren Produktion durch verkürzte Umrüstzeiten und einen geringeren Energiebedarf. Diese Vorteile haben direkten Einfluss auf die CO2-Emissionen des Syntheseprozesses und dessen Kosten.
Insgesamt haben sich vier Fraunhofer-Institute zu diesem Projekt zusammengeschlossen: das Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME, für Silicatforschung ISC, für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB und für Mikrotechnik und Mikrosysteme IMM.
Katalyse mit Enzymen und Licht
Die Fraunhofer-Forschenden setzen bei ihrem Verfahren auf eine neuartige Kombination zweier Katalysemethoden. Dabei werden Photokatalysatoren, die mit Licht aktiv werden, mit ebenfalls als Katalysator wirkenden Enzymen kombiniert. Die Enzyme werden entweder auf transparenten Folien aufgebracht und damit immobilisiert oder als Partikel im Reaktionsmedium eingesetzt. Projektleiterin Dr. Michaela Müller vom Fraunhofer IGB erklärt den Vorteil dieses Verfahrens: »Wir vermeiden dadurch, dass die Katalysatoren frei in der Lösung herumschwimmen und nach jedem Schritt aufwendig herausgefiltert oder entfernt werden müssen. Die immobilisierten Enzyme respektive Katalysatoren können im Reaktor verbleiben, während das Reaktionsprodukt kontinuierlich entsteht. Verlieren die Enzyme ihre Aktivität, lassen sie sich leicht austauschen, ohne den Prozess unterbrechen zu müssen.«
»Die lichtgetriebene Katalyse für die Kaskadenreaktionen benötigt keine besonders hohen Temperaturen, verträgt sich deshalb gut mit der Biokatalyse und spart damit auch Energie«, erklärt Dr. Thomas Rehm, Projektleiter am Fraunhofer IMM und Spezialist für nachhaltige Synthesen in Durchflussreaktoren. Um das Licht möglichst effektiv mit dem Photokatalysator und der Reaktionslösung zu kontaktieren, sind die verwendeten Durchflussreaktoren mit dünnen transparenten Kunststoffröhrchen (Kapillaren) oder mit Folien ausgestattet. Die Ausgangslösung wird entweder durch die Kapillaren des Reaktors gepumpt – samt Katalysatorpartikeln und einem Gas zur Verbesserung des Feststofftransports – oder über die transparente Polymerfolie geleitet, die als Träger der Photokatalysatoren und Enzyme dient.
Durch den Einsatz von Enzymen in der Kaskadenreaktion eignet sich das Verfahren besonders für die Herstellung sogenannter chiraler Feinchemikalien, die in Arzneimitteln häufig verwendet werden. Diese chemischen Verbindungen basieren auf Molekülen, die exakt spiegelbildlich aufgebaut sind, aber nicht durch Drehung miteinander deckungsgleich werden, vergleichbar etwa mit menschlichen Händen. Man spricht hierbei von Stereoisomerie. Je nach Version, also Isomer des chiralen Moleküls – linke Hand oder rechte Hand – können diese völlig unterschiedlich wirken. Aus diesem Grund ist die gezielte Herstellung von nur einem Isomer in möglichst hoher Reinheit wichtig, um eine maximal positive Wirkung zu erreichen.
Technologie-Schub für die chemische Produktion
Um das neuartige Katalyseverfahren zu realisieren, haben die vier Fraunhofer-Institute ihre sehr unterschiedlichen Forschungskompetenzen zusammengelegt und interdisziplinär zusammengearbeitet. Im Ergebnis ist weit mehr als nur ein neues Verfahren entstanden: Die Fraunhofer-Expertinnen und -Experten haben eine modular aufgebaute Technologie-Plattform zur Herstellung von verschiedenen Klassen an Feinchemikalien entwickelt. Für Industriekunden lassen sich so in einer Machbarkeitsstudie Wunschprozesse individuell für die Reaktionen und Katalysekombinationen maßschneidern.
Davon kann die Arzneimittelbranche in besonderer Weise profitieren, denn die Produktionstechnologien sind oftmals ausgereizt. Immer mehr Hersteller verlegen ihre Standorte ins Ausland, um dort billiger zu produzieren, oder kaufen dort die Wirkstoffe ein. »Wir brauchen in der chemischen Industrie wieder neue Verfahren für eine Produktion auf höchstem technologischem Niveau, die zugleich nachhaltig und wirtschaftlich sind«, sagt Müller. »Das sichert den technologischen Vorsprung deutscher Arzneimittelhersteller im globalen Wettbewerb und macht Deutschland als Produktionsstandort wieder attraktiv.« So trägt die Neuentwicklung der Fraunhofer-Forschenden auch dazu bei, die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung zukünftig zu sichern.
Für die Erforschung der Grundlagen wurde das Konsortium sowohl mit Eigenmitteln der Fraunhofer-Gesellschaft unterstützt als auch vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert (Projekt ILLUMINATE, Förderkennzeichen 031B1121).