Algen machen Lippen rot
Mit Algen lassen sich – vollkommen kohlendioxidneutral – wertvolle Substanzen für Chemie-, Pharma- und Lebensmittelindustrie herstellen wie Vitamine und Farbstoffe, Aminosäuren oder Antibiotika. Fraunhofer-Forscher haben nun einen Photobioreaktor so optimiert, dass sich das Verfahren auch wirtschaftlich lohnt.
Algen sind Lebewesen mit ganz erstaunlichen Fähigkeiten: Sie sind nicht nur einfach strukturiert, äußerst genügsam und wachsen schnell, sondern sie können auch eine ganze Reihe wertvoller Substanzen wie zum Beispiel Antibiotika, Vitamine, Farbstoffe oder Fettsäuren auf ganz natürlichem Weg synthetisieren. Auf der Achema, die vom 22. bis 27. Mai in Frankfurt am Main stattfindet, stellen Wissenschaftler vom Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB am Stand Biosystems F11-G15 in Halle 7 einen neuen Photobioreaktor vor, in dem die Mikroalgen in großer Zahl gezüchtet werden können.
Algen sind äußerst genügsam und vermehren sich sehr schnell. Zum Wachsen brauchen sie lediglich Licht, Wasser und Kohlendioxid; dazu kommen noch etwas Phosphat und Nitrat. Weltweit erforschen Wissenschaftler seit Beginn des Jahrhunderts die vielfältigen Organismen. Bisher fanden sie rund 36 000 Arten; manche mikroskopisch klein, andere bis zu zehn Meter lang. Allein Namen wie Blau-, Rot-, Grün-, Braun- und Kieselalgen weisen auf die besonderen Eigenschaften der kleinen Lebewesen hin. Und tatsächlich produzieren Algen während der Photosynthese neben verschiedenen Farbpigmenten auch Vitamine, essenzielle Fettsäuren und Aminosäuren, sogar Antibiotika und pharmazeutisch wirksame Stoffe. »Viele dieser Substanzen können bisher nur auf chemischem Weg hergestellt werden«, erklärt Jörg Degen, Biologe am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in Stuttgart. Dabei könnten diese Wertstoffe aus Algen gewonnen werden. »Nehmen wir zum Beispiel den roten Farbstoff Astaxanthin, der in der Kosmetikindustrie in roten Lippenstiften verwendet wird. Ändern sich etwa durch zu viele Mineralsalze in ihrem Wasser oder zu starkes Sonnenlicht die Umweltbedingungen für eine bestimmte Mikroalgenart (Haematococcus pluvialis), synthetisiert sie diesen Farbstoff ganz von selbst«, erläutert der Forscher.
Die wirtschaftliche und umweltneutrale Algenzucht im großen Stil ist aber nicht nur für die Kosmetikindustrie interessant. Die Einsatzmöglichkeiten sind vielseitig. So schätzen die Japaner die Grünalge Chlorella aufgrund ihres hohen Vitamin-C-Gehalts bereits seit den 70er Jahren als gesundes Nahrungsmittel. »Vitaminpräparate, Lebensmittelzusätze und Farbstoffe aus Algen könnte es auch bei uns bald in größerem Umfang geben«, meint Degen. Außerdem könnten die Wertstoffe synthetische Produkte in der chemischen und pharmazeutischen Industrie ersetzen. Langfristig denken die Forscher daran, umweltfreundliche Autokraftstoffe wie Methanol oder Biodiesel aus der Biomasse der Mikroorganismen zu gewinnen.
Bisher scheiterten Versuche, die kleinen Organismen in großen Mengen zu züchten daran, dass die Algen in Großanlagen nicht optimal mit Licht versorgt werden können. Mit dem neuen Photobioreaktor des IGB wird sich dies schnell ändern: »Damit jede einzelne Algenzelle für kurze Zeit an die Reaktoroberfläche und so in den Genuss von Licht kommt, besteht der gläserne Reaktor aus flachen Blasensäulen, die von Luftblasen durchströmt werden«, erläutert Projektleiter Prof. Walter Trösch vom IGB. Den Algen reicht es, wenn sie dem Licht nur Sekundenbruchteile ausgesetzt sind; man spricht hier vom »Flashing-Light-Effekt«. So können nun auch Algenkulturen in hoher Zelldichte ausreichend mit Licht versorgt werden. Mit der neuen Methode ist der Flächenertrag wesentlich höher als in anderen Kultivierungssystemen. Wissenschaftler vom IGB arbeiten gerade mit ihren Kollegen vom Fraunhofer-Institut für Solare Energietechnik ISE in Freiburg daran, den Lichteintrag und die Lichtausnutzung weiter zu verbessern. Die Vision einer umweltgerechten sowie wirtschaftlichen meerwassergestützten Großproduktion von Mikroalgen rückt damit in greifbare Nähe. Das Projekt eignet sich besonders für Schwellen- und Entwicklungsländer, die viel Sonneneinstrahlung haben.