Stuttgarter Biochemiker entschlüsseln einen Wirkmechanismus des Cytokins MIF
Menschliche Eiweißstoffe aus der Klasse der sogenannten Cytokine steuern unseren Immunprozess. Das Cytokin MIF (Macrophage migration inhibitory) ist unter anderem bei der Stress- und Immunantwort auf akute und chronische Entzündungen zentral beteiligt. Unter Beteiligung von Forschern des Stuttgarter Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB konnte ein molekulares Target der Wirkung von MIF jetzt erstmals entschlüsselt werden.
Cytokine, menschliche Eiweißstoffe, steuern die Funktionen unseres Immunsystems und sind somit von großer Bedeutung für die Immunabwehr. Das Cytokin MIF (Macrophage migration inhibitory factor) ist unter anderem bei der Stress- und Immunantwort auf akute und chronische Entzündungen zentral beteiligt. Unter Beteiligung von Forschern des Stuttgarter Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB bzw. des Instituts für Grenzflächenverfahrenstechnik der Universität Stuttgart konnte jetzt erstmals ein molekulares Target, ein Wirkort, von MIF entschlüsselt werden.
Cytokine steuern die Funktionen des menschlichen Immunsystems, sind von großer Bedeutung für die menschliche Immunabwehr und von daher zentrale Forschungsschwerpunkte in der biomedizinischen Forschung. Heute sind etwa 100 dieser menschlichen Eiweißstoffe bekannt. Eine Cytokinfunktion mit dem Macrophage migration inhibitory factor -- oder kurz MIF -- wurde bereits 1966, in den Anfängen der Immunforschung, entdeckt. Seine Klonierung jedoch gelang erst 30 Jahre später. Einige der immunologischen Funktionen des Proteins konnten im Verlauf der neunziger Jahre aufgeklärt werden.
So weiß man heute, dass MIF bei der Stress- und Immunantwort auf akute und chronische Entzündungen/Infektionen zentral beteiligt ist. Auch die Fehlsteuerung des Immunsystems bei Autoimmunkrankheiten scheint über MIF-gesteuerte Prozesse zu laufen. Entsprechend haben vorklinische Studien bei Tieren gezeigt, dass gegen MIF gerichtete Antikörper therapeutisch zur Behandlung von septischem Schock, Lungenkrankheiten oder Immunkrankheiten wie der Rheumatoiden Arthritis eingesetzt werden könnten. Ein Zusammenhang scheint auch zwischen der MIF-Verteilung und -Ausschüttung im Körper und der Tumorbildung zu bestehen. Darüber hinaus zählt MIF zu den wenigen Cytokinen, die zugleich eine enzymatische Aktivität besitzen. Eine Blockierung dieser Enzymaktivität könnte zugleich die entzündungsfördernden Eigenschaften von MIF bremsen. MIF gilt dazu als das derzeit einzige bekannte Cytokin, welches von Substanzen wie Cortison nicht unterdrückt oder gedämpft, sondern sogar aktiviert wird und die immununterdrückenden Wirkungen von Cortison hemmt. MIF-basierte Therapieansätze sind daher relevant für eine Viezahl von mit Glucocorticoiden behandelten chronischen Entzündungskrankheiten und Allergien.
Die meisten Cytokine entfalten ihre Wirkung über einen so genannten Rezeptor, der die Signale von außen in die Zellen vermittelt. Während für die meisten Cytokine kurz nach ihrer Klonierung auch die entsprechenden Signal vermittelnden Rezeptoren entdeckt wurden, blieb der molekulare Mechanismus der Wirkung von MIF weitgehend unbekannt. Arbeiten eines Forscherteams der Arbeitsgemeinschaft Biochemie des Instituts für Grenzflächenverfahrenstechnik und des Instituts für Zellbiologie und Immunologie der Universität Stuttgart und des Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB zusammen mit kooperierenden Forschern des Schweizer Hôpital Vaudois in Lausanne sowie des Physiologisch-chemischen Instituts der Universität Tübingen haben nun zum ersten Mal ein molekulares Target (Ziel) für die Wirkung und Signalübertragung von MIF entdeckt.
Überraschenderweise handelt es sich bei diesem Signal vermittelnden Molekül nicht um einen typischen membranständigen MIF-Rezeptor, sondern um ein im Zellinneren lokalisiertes Protein mit dem Namen Jab1. Jab1 zählt zur Kategorie der Transkriptions-Coaktivatoren, also zu einer wach-senden Klasse von Eiweißstoffen, die nach heutigen Erkenntnissen genregulatorische Prozesse mitsteuern, ohne selbst direkt als Transkriptionsfaktor mit der Erbinformation wechselwirken zu können. Die Wissen- schaftler konnten zeigen, dass MIF über einen Endocytose genannten Prozess in Immunzellen und andere sogenannte Zielzellen aufgenommen wird und im Zellinneren mit Jab1 wechselwirkt. Die Aufnahme von MIF in die Zelle scheint dabei ohne die Hilfe von Membranrezeptoren ablaufen zu können. Des Weiteren zeigen die neuen Arbeiten der Forschergruppe, die jetzt im Wissenschaftsjournal »Nature« veröffentlicht wurden, dass MIF über die Interaktion mit Jab1 auf steuernde Prozesse in der Zelle -- wie die Anschaltung von immunologisch relevanten Genprodukten und den Zellzyklus -- Einfluss nehmen kann. Diese Wirkung verläuft über die Stabilisierung eines Proteins mit dem Namen Kip1, das seinerseits direkt den Zellzyklus kontrolliert.
»Die Arbeiten geben zum ersten Mal Aufschluss über die molekularen Zielstrukturen der Wirkung von MIF,« erläutert Dr. Jürgen Bernhagen, Leiter der Arbeitsgruppe Biochemie am Institut für Grenzflächenverfahrenstechnik der Universität Stuttgart und in Personalunion Abteilungsleiter am Fraunhofer IGB. »Somit haben sie unmittelbar Bedeutung für weiterführende biomedizinische Forschungsansätze, die zur Entwicklung von MIF-Jab1-basierten Therapie- und Diagnosestrategien führen könnten.« Diese wiederum könnten zur Entwicklung von neuen Medikamenten für die Krankheiten eine Rolle spielen, bei denen MIF vermittelnd mitwirkt.