Haut aus der Maschine
Haut ist gefragt. Die Hersteller von Pharmazeutika, Chemikalien, Kosmetika und Medizintechnikprodukten brauchen sie, um die Verträglichkeit ihrer Produkte zu testen. Auf der BIO International Convention 2009 vom 18. bis 21. Mai in Atlanta zeigen Fraunhofer-Forscher, wie sich künstliche Haut vollautomatisch herstellen lässt.
Haut aus der Fabrik – davon träumen Pharmakologen, Chemiker und Mediziner schon lange. Die Forschung hat einen enormen Bedarf an »Hautmodellen«: Mit ihrer Hilfe läßt sich feststellen, ob Cremes und Seifen, Putzmittel, Medikamente und Pflaster »hautverträglich« sind, ob die Produkte beim Konsumenten Reizungen oder allergische Reaktionen hervorrufen. Die Ergebnisse der Tests gelten als aussagekräftig und können Tierversuche größtenteils überflüssig machen.
Doch künstliche Haut ist rar: »Die Produktion ist aufwändig. Derzeit gelingt es selbst etablierten internationalen Unternehmen nicht, pro Monat mehr als 2 000 Hautstückchen von jeweils einem Quadratzentimeter Größe herzustellen. Mit einem Jahresbedarf von mehr als 6,5 Millionen Stück allein im EU-Raum ist die industrielle Nachfrage jedoch weit höher als alle derzeit vorhandenen Produktionskapazitäten«, sagt Jörg Saxler vom Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT. Zusammen mit Prof. Heike Mertsching Fraunhofer-Institut für Grenzflächen und Bioverfahrenstechnik IGB koordiniert er das Projekt »Automated Tissue Engineering on Demand« innerhalb der Fraunhofer-Gesellschaft.
Das »Tissue Engineering« – zu deutsch die Gewebezüchtung – steckt noch in den Kinderschuhen. »Bisher werden überwiegend einschichtige Hautmodelle angeboten, die aus einem einzigen Zelltypus bestehen«, erklärt Mertsching, die am IGB die Abteilung Zellsysteme leitet. »Dank der Entwicklungen an unserem Institut hat das Projektteam Zugriff auf ein patentrechtlich geschütztes Hautmodell, das aus zwei Schichten mit unterschiedlichen Zelltypen besteht. Damit steht uns ein nahezu perfektes Abbild der menschlichen Haut zur Verfügung, das alle derzeit am Markt verfügbaren Systeme hinsichtlich seiner Aussagefähigkeit übertrifft.«
Derzeit entwickelt ein interdisziplinäres Team von Fraunhofer-Forschern die erste vollautomatische Produktionsanlage für zweischichtige Hautmodelle: »Unsere Ingenieure und Biologen sind die Einzigen, die es geschafft haben, die gesamte Prozesskette zur Herstellung zweischichtiger Hautmodelle vollautomatisiert abzubilden«, erläutert Saxler, der am IPT zuständig ist für Technologiemanagement und das Geschäftsfeld »Life Science Engineering«. In einem mehrstufigen Prozess werden kleine Hautstücke zunächst sterilisiert, dann zerschnitten, mit Hilfe von Enzymen aufbereitet, in zwei Zellfraktionen separiert und diese getrennt auf Zellkulturoberflächen vermehrt. Der nächste Arbeitsschritt fügt die beiden Zelltypen zu einem zweischichtigen Modell zusammen – wobei den Zellen, die die flexible untere Schicht, die Dermis, bilden sollen, Kollagen beigemischt wird. Dieses verleiht dem Gewebe natürliche Elastizität. In einem körperwarmen und feuchten Inkubator verbinden sich die Zellfraktionen in weniger als drei Wochen zu einem fertigen Hautmodell von etwa einem Zentimeter Durchmesser. Die Technik hat sich in der Praxis bereits bewährt, für die Massenproduktion ist sie bisher jedoch zu teuer und zu aufwändig, sagt Mertsching: »Die Produktion ist mit viel Handarbeit verbunden – das macht das Verfahren nicht besonders effizient.«
Aktuell arbeitet das Projektteam, in dem Ingenieure, Wissenschaftler und Techniker aus vier Fraunhofer-Instituten kooperieren, mit Hochdruck an der Automatisierung der Arbeitsschritte: Um die biologische Grundlagenentwicklung und Validierung der Anlage sowie ihrer Teilmodule kümmern sich die Forscher am IGB sowie am Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie IZI. Mit der Prototypenentwicklung, Automatisierung und Integration der Anlage zu einem funktionsfähigen Gesamtsystem beschäftigen sich die Experten am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA sowie am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT. »Die größte Herausforderung bestand anfangs darin, Barrieren zu überwinden, weil sich die Herangehensweisen der verschiedenen Fachdisziplinen stark unterscheiden,« erinnert sich Saxler. »Mittlerweile klappt die Zusammenarbeit der vier Institute untereinander ganz hervorragend – jeder weiß, dass es ohne den Input des anderen nicht geht.« Nach einem Jahr Zusammenarbeit hat das Projektteam bereits acht Patentverfahren eingeleitet.
Am Gemeinschaftsstand der Fraunhofer-Gesellschaft auf der BIO 2009 in Atlanta vom 18. bis 21. Mai präsentieren die Forscher ein Computermodell der Gesamtanlage sowie die drei wesentlichen Teilmodule: Das erste verarbeitet die Gewebeproben und isoliert die beiden Zelltypen; das zweite vermehrt sie; im dritten entstehen die fertigen Hautmodelle; diese werden am Ende von einem Roboter verpackt.
Bis die fertige Maschine für das Automated Tissue Engineering on Demand auf den Markt kommt, müssen die Forscher allerdings noch einiges an Tüftelarbeit leisten: Über Erfolg und Misserfolg entscheiden oft Details, wie die Beschaffenheit der Hautstücke, Einwirkzeiten von Enzymen und Viskositäten von Flüssigkeiten. Außerdem müssen die Zellkulturen während des gesamten Fertigungsprozesses überwacht werden, um den Prozess optimal steuern und einen eventuellen Befall mit Pilzen oder Bakterien rechtzeitig erkennen zu können. In zwei Jahren soll die Haut-Fabrik fertig sein. »Unser Ziel ist es, 5 000 qualitativ einwandfreie Hautmodelle im Monat zu produzieren und dabei einen Stückpreis von unter 34 Euro zu erzielen. Das sind Werte, die für die Industrie attraktiv sind«, resümiert Saxler.
Interessant ist das Automated Tissue Engineerung nicht nur für Chemie-, Kosmetik-, Pharma- und Medizintechnikunternehmen, sondern auch für die Transplantationsmedizin: Bei großen Brandverletzungen benötigen die Chirurgen gesundes Gewebe, um die zerstörten Hautpartien zu ersetzen. Die zweischichtigen Hautmodelle, die die neue Maschine produzieren soll, sind dafür allerdings noch nicht geeignet: »Sie haben keine Blutversorgung und werden daher nach einiger Zeit vom Körper abgestoßen«, erklärt Saxler.
Die Forscher am IGB arbeiten aber bereits an einem Vollhautmodell, das auch Blutgefäße beinhalten soll. Wenn die Forschung abgeschlossen ist, sollen die Transplantate ebenfalls vollständig automatisiert produziert werden. »Wir haben die Anlage so konstruiert, dass sie den hohen Standards der Good Manufacturing Practices – kurz GMP – genügt, die Vorschrift ist für die Herstellung von Produkten, die in der Medizin eingesetzt werden«, erklärt Mertsching. »Damit wird die Anlage prinzipiell auch geeignet sein für die Gewinnung von künstlicher Haut für Transplantationen.«