Das Kombinieren von Prozessen, Prinzipien und Materialien aus der Natur und deren systematische Anwendung in der Technik ist ein neuer Trend in der Fertigungsindustrie.
Die nächste industrielle Revolution kommt aus der Natur
Unter dem Motto »Die Zukunft nachhaltiger Wertschöpfungssysteme« richteten die Europäische Technologieplattform ManuFUTURE und die Fraunhofer-Gesellschaft Ende Juni in Brüssel einen Workshop zur Biologischen Transformation der europäischen verarbeitenden Industrie aus. Rund 40 Experten aus Industrie, Politik und Forschung diskutierten, wie Materialien, Strukturen und Prozesse der Natur zukünftig die Fertigung nachhaltig gestalten können. Parallel dazu veröffentlichte die Europäische Kommission einen ersten Entwurf des »Strategischen Plans« für das zukünftige Forschungsrahmenprogramm »Horizont Europa«, in der ebenfalls bioinspirierte und biointegrierte Fertigungsverfahren sowie von Natur und Biologie inspirierte, informationsbasierte Technologien adressiert werden.
Die produzierende Industrie ist mit 36 Millionen direkten und ca. doppelt so vielen indirekten Arbeitsplätzen eine wichtige Säule der europäischen Wirtschaft. Gleichzeitig sind Industrieprodukte drittgrößter Verursacher von Treibhausgasemissionen und ursächlich beteiligt an der Verknappung natürlicher Ressourcen, an Umweltverschmutzung und dem Verlust der biologischen Vielfalt. Um die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommen einhalten und gleichzeitig Arbeitsplätze in Europa erhalten und schaffen zu können, werden daher ebenso disruptive wie nachhaltige Technologien benötigt.
»Wir dürfen keine Zeit verlieren, wir müssen jetzt handeln«, sagte Professor Thomas Bauernhansl, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung IPA beim Workshop zur Biologischen Transformation in Brüssel. »Neue biointelligente Fertigungskonzepte werden helfen, die gesellschaftlichen Herausforderungen, mit denen wir immer stärker konfrontiert werden, zu bewältigen«. Biobasierte Innovationen werden in verschiedenen Branchen eine wichtige Rolle bei der Umstellung hin zu einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft spielen. »Bioabfälle oder nachwachsende Rohstoffe zur Herstellung von Chemikalien, Pharmazeutika, Verpackungen oder verschiedenen Konsumgütern zu verwenden, ist lediglich der Anfang auf dem Weg zu einer klimaneutralen Kreislaufwirtschaft, in der die Bioökonomie bereits heute eine wichtige Rolle spielt«, erklärte Dr. Markus Wolperdinger, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB.
Die »Biologische Transformation«
Auf dem Workshop von ManuFUTURE in Brüssel stellten Professor Bauernhansl und Dr. Wolperdinger die drei Entwicklungsstufen der Biologischen Transformation vor, die das Ergebnis einer breit angelegten wissenschaftlichen Studie mit deutschen Unternehmen sind: bioinspiriert, bio-integriert und biointelligent.
Im ersten Schritt, der Bioinspiration, werden im Verlauf der Evolution entstandene biologische Prinzipien und Phänomene auf wertschöpfende Systeme übertragen: So entstehen neuartige Materialien und Strukturen (z. B. Leichtbau), neue Funktionalitäten (z. B. Biomechanik) sowie neue Organisations- und Kooperationslösungen (z. B. Schwarmintelligenz). Der zweite Schritt, die Biointegrationsphase, erklärte Maurizio Gattiglio, stellvertretender Vorsitzender von ManuFUTURE, am Beispiel selbstheilender Materialien, bei denen biologische Prozesse in Herstellungsprozesse oder Produkte integriert werden. Die dritte Stufe ist das, was die Forscher Biointelligenz oder das Zusammenwachsen von Biologie, IT und Ingenieurwesen nennen.
Während des Workshops erarbeiteten die Experten erste Beiträge für den Strategischen Plan der Kommission, beschrieben das Potenzial der biologischen Transformation für Europa und formulierten Empfehlungen für mögliche Förderprioritäten und begleitende politische Maßnahmen. Die Diskussionen konzentrierten sich vor allem darauf, wie sich die biologische Transformation auf die Nachhaltigkeit der Industrie und die technologische Souveränität Europas auswirken wird.
Der »Strategic Plan« für »Horizon Europe«
Der Workshop von ManuFUTURE wurde mit Blick auf die Vorbereitung des Strategischen Plans für das kommende Forschungsrahmenprogramm »Horizont Europa« durchgeführt. Am 28. Juni 2019 veröffentlichte die Europäische Kommission eine vorläufige Version dieses Plans, der nun in einem umfangreichen und intensiven Konsultationsprozess mit Interessengruppen überprüft werden soll. Der Plan soll aktuelle Trends und Herausforderungen widerspiegeln und wird für die ersten vier Jahre die thematischen Eckpfeiler von »Horizont Europa« definieren und als Leitfaden für die Ausarbeitung von Arbeitsprogrammen und Ausschreibungen dienen. Die biologische Transformation der Fertigung stellt einen wichtigen Teil dieser Zukunftsvision dar.
Die Ergebnisse des Workshops werden nun in einem Arbeitspapier zusammengefasst und der Kommission im September 2019 zur Verfügung gestellt. Im Herbst wird das Thema der biologischen Transformation sowohl ein Schwerpunktthema bei den »Research and Innovation Days « der Generaldirektion Forschung und Innovation in Brüssel (24. bis 26. September 2019) sein wie auch bei der »ManuFUTURE 2019 Conference – Sustainable Smart Manufacturing « in Helsinki (30. September bis 1. Oktober 2019).