In der algerischen Sahara harren zehntausende Menschen in Flüchtlingslagern aus. Sie sind Vertriebene aus der seit über 40 Jahren umkämpften Westsahara. Die Menschen sind extremen klimatischen Bedingungen ausgesetzt, die traditionelle Landwirtschaft unmöglich machen. Frische Lebensmittel sind kaum verfügbar, Unter- und Mangelernährung die Folge. Die Versorgung der Menschen wird immer schwieriger und die notleidenden Sahrawis brauchen eine nachhaltige und langfristige Lebensmittelversorgung.
In Zusammenarbeit mit dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (World Food Program, WFP) hat der algerische Agrar-Ingenieur Taleb Brahim ein wassersparendes Hydrokultursystem entwickelt, mit dem Gerste als Tierfutter angebaut werden kann. Damit erhält die Bevölkerung besseren Zugang zu Fleisch und Milch von Ziegen und Kamelen. Die Technologie wurde bereits in Jordanien und im Tschad erfolgreich repliziert. Hydrokulturen sind sehr produktiv und benötigen 90 Prozent weniger Wasser als der bodengebundene Anbau.
Hydrokultur zum Gemüseanbau könnte die Ernährung von hunderttausenden Menschen langfristig sichern und Mangelernährung bekämpfen. Die Menschen werden befähigt, sich selbst zu versorgen und verlassen die Abhängigkeit. Das Pilotprojekt könnte auch in anderen Regionen der Welt Anwendung finden und einen Beitrag zum Kampf gegen Klimawandel, Welthunger und Fluchtursachen leisten.
Das integrierte hydroponische System setzt auf eine effiziente Wasserwiederverwendung zum kaskadischen Anbau von Nahrungsmitteln.
Basierend auf dem Erfolg des hydroponischen Gerstenanbaus des WFP wollen wir gemeinsam mit den Akteuren vor Ort das hydroponische System weiterentwickeln, sodass auch Gemüse und Kräuter mit Hydrokultur wachsen können.
Gemäß »Lowtech statt Hightech« sollen die Bewohner der Flüchtlingslager mit lokalen Materialien Hydrokultur kostengünstig und wassersparend errichten und betreiben können. Das Hydrokultur-Konzept bleibt auch bei extremen klimatischen Bedingungen leistungsfähig und könnte weltweit Anwendung finden.
Für den hydroponischen Gemüseanbau bedarf es einer hydroponischen Nährstofflösung. Da kommerzielle Flüssigdünger für die Menschen in den Flüchtlingslagern schwer zugänglich sind, besteht die größte Herausforderung darin, eine solche Nährlösung zu möglichst geringen Kosten auf Basis der knappen Ressourcen vor Ort herzustellen.
In einem aktuellen Vorhaben, das mit dem Preisgeld aus dem Fraunhofer-Alumni-Award 2020 finanziert wird, untersuchen die Fraunhofer-Wissenschaftler die Eignung von Reststoffen, etwa Blut- und Knochenmehl aus der Tierhaltung, für den Einsatz in hydroponischen Systemen sowie die für den Einsatz notwendigen bzw. möglichen Aufbereitungsschritte der Reststoffe. Neben der Konzentration der einzelnen Pflanzennährstoffe spielen aufgrund der Hygieneanforderungen auch mikrobielle Parameter eine wesentliche Rolle.
Um die Nährstoffe aus Stein-, Knochen- und Blutmehl für die Pflanzen verfügbar zu machen, wird beispielsweise die Vergärung mithilfe von Hefe- und Joghurt-Kulturen untersucht.
Für ein gesundes Pflanzenwachstum sind vor allem Stickstoff, Phosphor und Kalium nötig, außerdem brauchen die Pflanzen verschiedene Mikronährstoffe wie Eisen, Molybdän und andere Elemente. Das aus der Schlachtung von Ziegen anfallende Blutmehl ist reich an Stickstoff. Knochen können Phosphor- und Calcium für die Nährstofflösung beisteuern. Ebenfalls für die Bewohner des Camps leicht verfügbar ist Steinmehl, das andere wichtige Mineralien enthält. Eine zusätzliche Herausforderung ist die hohe Anfälligkeit für Verunreinigungen. Eine einfache Desinfizierung etwa mit Chlor würde auch »nützlichen Mikroorganismen« zerstören.
Für das Jahr 2021 sind Pflanzenversuche am Fraunhofer UMSICHT vorgesehen. Hier werde die erstellten Nährstofflösungen auf ihre Eignung für den hydroponischen Gemüseanbau untersucht und mit kommerziellen Düngern verglichen.
Um die Vision Wirklichkeit werden zu lassen, setzte die Fraunhofer-Gesellschaft zusammen mit der Fraunhofer-Stiftung für die Anschubfinanzierung der Projektidee zum ersten Mal auf das Konzept des Crowdfundings.
Das Projektteam bedankt sich bei über 200 Unterstützern und Unterstützerinnen!
Im Dezember 2017 besuchte IGB-Forscher Marc Beckett erstmals das Flüchtlingslager der Sahrawi in der algerischen Wüste, um Möglichkeiten einer Zusammenarbeit auszuloten. Seit dem steht Marc Beckett im regelmäßigen Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen sowohl des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP) als auch vor Ort, etwa mit Ingenieur Taleb Brahim, um die Weiterentwicklung der Hydrokultursysteme voranzutreiben. Der Erstkontakt erfolgte über Fraunhofer Venture.
Mit den Ergebnissen und Erfahrungen aus GreenUp Sahara beteiligt sich das Fraunhofer IGB am Aufbau der weltweiten Hydroponik-Plattform H2Grow, eine Netzwerk- und Wissensplattform, die das World Food Programme ins Leben gerufen hat.